Samstag, 23. Juni 2007

Überraschend anders - Gendarmenmarsch Dänemark am 16.06.2007

Das Leben ist bunt und abwechslungsreich und hält positive wie negative Überraschungen bereit. Seitdem ich versuche, positive Erlebnisse als Motivationshilfe zu nutzen und trotz negativer Erlebnisse meinen Optimismus zu bewahren, empfinde ich mein Leben von Tag zu Tag als lebenswerter. An dem Wochenende Mitte Juni wird mir dies ganz besonders bewusst, da ich vor genau 2 Jahren meinen ersten Walking-HM gewonnen habe und vor genau einem Jahr von meinem Arzt ziemlich direkt darauf hingewiesen wurde, dass ich mich damit abzufinden habe, künftig Sportinvalide zu sein.


Eigentlich wollte ich in diesem Jahr ein drittes Mal zum Mittelrhein-Marathon nach Koblenz fahren und durch eine erfolgreiche Teilnahme am HM die düsteren Gedanken des Vorjahres bis auf weiteres vertreiben. Aber da das Leben ja so bunt, abwechslungsreich und voller Überraschungen ist, kam es natürlich anders: Martin schlug vor einigen Wochen vor, zusammen mit EDDI und mir die Just-for-fun-Tour 2007, die wir mit unserem gemeinschaftlichen Mauerwalk eingeläutet hatten, fortzusetzen. Da der Mauerwalk insbesondere durch meine beiden Mitwalker zum mit Abstand schönsten Erlebnis während meiner Zeit als Walker geworden war, zögerte ich keinen Moment zuzusagen.


Freitag morgen traf ich mich zunächst mit EDDI am Hamburger Hauptbahnhof. Zur Einstimmung wanderten wir ein wenig an der Alster auf und ab. Die trainierenden Läufer, die Kilometermarkierungen für eine Laufveranstaltung, die gerade aufgebaut wurden und die ersten Regentropfen des Wochenendes wurden zur perfekten Einstimmung auf das, was uns am Samstag erwartete. Während EDDI einen anderen Termin hatte, gönnte ich mir in diesem unbeobachteten Moment bereits vor Mittag mein erstes Eis – hat zum Glück keiner gesehen und erfährt auch hoffentlich niemand… Gegen halb vier trudelten wir bei Helga und Martin ein. Der Kuchen, der zum Kaffee gereicht wurde, beugte ein erstes (aber nicht letztes) Mal an diesem Wochende der Unterzuckerung vor... Martins Arbeitskollege Michael deutete an, dass er wohl noch nicht allzu oft 60 Kilometer mittels eigener Füße zurückgelegt habe, sah aber recht zuversichtlich aus. Kurz vor 17 Uhr wurde es Zeit, nach Sonderborg aufzubrechen, da wir ungefähr 2 Stunden zu fahren hatten und auf gar keinen Fall die 10-Kilometer-Warm-Up-Strecke, die um 19 Uhr begann, verpasssen wollten. EDDI vergaß daher für einen kurzen Moment, dass sie einen Polo fährt und düste in Spa-Francochamps-Qualifying-Geschwindigkeit gen Norden. Pünktlich um 18:50 Uhr kamen wir an der Sporthalle, die zugleich Startpunkt, Startkartenausgabe, Nachtquartier, Kneipe und Restaurant war, an. Schnell angemeldet, Sachen in die Ecke geworfen, umgezogen, Forerunner vergessen und los ging’s mit der 10-Kilometer-Wanderung. Über saftig-nasse Wiesen mit einem malerischen Blick auf’s Wasser ging’s Richtung Sonderborg, durch den Ort und dann die direkte Strecke zurück. Das Tempo war moderat und nach 6 Kilometern wurde die obligatorische Pause eingelegt. Zunächst tranken wir, wie viele Dänen mit uns, jeweils ein Bier. Dann erspähte ich ein giftgrünes Getränk, das sich bei näherer Betrachtung als pervers süße Waldmeisterlimonade entpuppte. Das war der Beginn einer wunderbaren Freundschaft…



Zurück in der Schule, richteten wir erst einmal unsere Schlafstätten für die kurze Nacht. Nach ein bis zwei Bier, drei grünen Limos, drei Stullen mit Käse, Schokokuchen und einer Familienpackung Waffeln hatten wir die nötige Bettschwere erreicht. Als absoluter Camping-Neuling hatte ich mich dafür entschieden, zur Polsterung eine papierdünne Iso-Matte unter den Schlafsack zu legen. Ich glaube, bequemer wäre es nur gewesen, auf dem Schwebebalken zu schlafen. Da machte es auch nichts aus, die gesamte Nacht einem Hobbywaldarbeiter beim Fällen der dänischen Wälder zuzuhören…


Vier Uhr morgens war die Nacht zu Ende. Das Licht wurde angemacht. Um die beiden verfügbaren Toiletten entbrannte ein Wettstreit ähnlich dem Spiel „Reise nach Jerusalem“. Währenddesssen stellte ich mich ratlos vor die High-Tech-Duschanlage und versuchte herauszufinden, welcher der gefühlten 87 Hebel den Wasserfluss in Gang setzt. Knapp 5 Minuten später war ich schlauer und stellte durch geschicktes Drehen eines unscheinbaren Hebels alle 4 Duschen gleichzeitig an. Dann wurde es auch schon Zeit, wieder die Socken-Diva zu spielen und mehrere Modelle probeweise anzuziehen. Die Auswahl des Sportschuhs fiel da schon leichter, denn ich hatte, um Platz zu sparen, nur ein Paar mitgenommen. Die Einlagen waren noch vom Vortag dezent angefeuchtet und mir wurde klar, dass es mir herzlich egal sein kann, ob es regnen würde oder die Wiesen noch feucht sind.


Um 6 Uhr wurde losgewandert. Die ersten Kilometer zogen sich wie Kaugummi. Es wurde ein 11-Minuten-Schnitt angeschlagen, der Himmel war grau und es regnete sich langsam ein.

Allein die Aussicht auf Wälder, Felder und das Wasser spendete Motivation. Alle paar Kilometer machten wir an den reichlich vorhandenen Toilettenanlagen kurz Rast. Nach 2 Stunden oder 10 Kilometern wurde es Zeit für eine Frühstückspause. Es gab Schnittchen, Kaffee und für den geneigten Gourmet ein kleines Bierchen mit 12 Gramm Alkohol/Flasche… Als Sitzgelegenheiten befanden sich auf dem Begleitfahrzeug diverse Klapphocker, die nach Benutzung weiter transportiert wurden zur nächsten Rast. Jeweils im Stundentakt gab es eine kurze, im Zweistundentakt eine längere Pause mit Verpflegung. Gegen 12 Uhr, als wir ca. die halbe Strecke zurückgelegt hatten, wurden etwas größere Häppchen (Frikadellchen und Fisch) als Mittagessen gereicht. Damit man in der Folgezeit kein Problem mit Fischgeschmack im Hals hat, ging die Flasche Aquavit herum und sorgte dafür, dass es erstmals am Samstag so richtig warm wurde.

Nach der großen Pause lief es besser. Wohl wissend, dass wir die Hälfte der Strecke hinter uns haben, wurde gleich ein etwas zügigeres Tempo angeschlagen. Es hörte auf zu regnen und die Sonne ließ sich sogar eine kurze Weile sehen. Ich versuchte, zusammen mit EDDI und Martin an der Spitzengruppe dranzubleiben. Kurzweilige Gespräche vertrieben auch mental die letzten dunklen Wolken. Da irritierte es auch nur am Rande, dass sich der Himmel langsam wieder zuzog und der Regen erneut begann. Nach 40 Kilometern wurde die Strecke freigegeben. Jeder durfte so schnell marschieren, wie er wollte. EDDI, Martin und ich schworen Michael feierlich, dass wir ihn nicht in Dänemark zurücklassen würden und klemmten uns an einen älteren Herrn, der gleich einen knappen 8:30er Schnitt angeschlagen hatte. Auf einer 3 Kilometer langen Hürdenlaufstrecke über dicke Steine holten wir ihn ein. Es ging weiter durch hohe nasse Wiesen, Hügel rauf, Hügel runter, durch Sand und schließlich über angenehm zu laufenden Waldboden.

http://www.youtube.com/watch?v=TfG3A1KY7Zo


An der drittletzten Steigung beschloss EDDI, dass wir jetzt genug geschlichen seien. Ansatzlos verschärfte sie bei Kilometer 56 das Tempo und zeigte uns alten Säcken mal, wozu der Nachwuchs so beim vierten Ultra in 1 1/2 Monaten in der Lage ist. Nach diversen Schrecksekunden versuchten wir, langsam wieder aufzuholen, ohne uns dabei auf die Zunge zu treten. Die letzten beiden Steigungen nutzte Martin, um mal ein paar kleine Filmchen von zwei übermotivierten Ultrawalkern zu machen. Er hat aber versprochen, da ganz diskret mit umzugehen und sie nicht groß im Bekanntenkreis rumzuzeigen. In diesem Zusammenhang fällt mir ein: Er erwähnte das Wort „Youtube“. Weiß jemand, was das ist?

Kurz vor 19 Uhr nach 60 zurückgelegten Kilometern erreichten wir relativ frisch und gut gelaunt die Sporthalle. Nach einer heißen Dusche fühlten wir uns wieder wie neu geboren. Da wir doch recht zügig unterwegs waren, mussten wir ca. 2 Stunden warten, bis die letzten Wanderer im Ziel waren und es ein gemeinschaftliches Abendessen gab. Kurz nach 23 Uhr kamen wir nach einem erlebnisreichen Tag wieder in Hamburg an. Auch Teil 2 der Just-for-fun-Tour 2007 hatte dieser Bezeichnung alle Ehre gemacht.



Aus nostalgischen Gründen habe ich am nächsten Tag mal mein Mittelrhein-HM-Shirt aus dem Vorjahr angezogen. Darauf steht das Motto der Veranstaltung „Gib Deinen Sinnen freien Lauf.“ Im Internet habe ich gesehen, dass der Drittplazierte aus dem Vorjahr den Mittelrhein-HM in diesem Jahr mit über 2:22 Stunden gewonnen hat. Ich habe kurz geschmunzelt und war froh und glücklich darüber, dass ich meinen Sinnen freien Lauf gebe, meine Prioritäten jetzt anders setze als noch vor 12 Monaten und mein Leben jetzt so abwechslungsreich und überraschend verläuft…

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