Montag, 16. August 2010

Ganz schön tot - Dodentocht 2010



Der Viertagesmarsch war trotz geringster Trainingsumfänge gut gelaufen und hatte mich verleitet, nunmehr größenwahnsinnig zu werden und zur Dodentocht nach Bornem/Belgien zu fahren. So fuhr ich mit einer Mischung aus Nervosität und Vorfreude direkt nach der Arbeit westwärts, um möglichst vor dem großen Pulk vor Ort zu sein. Der Zeitpuffer entpuppte sich als bitter notwendig, da einige längere Baustellen und der eine oder andere Stau zu überwinden waren, ehe ich das Stadtschild meiner Begierde vor mir sah. Zwischenzeitlich waren alle Parkplätze in Bornem belegt oder gesperrt, sodass ich auf einem Firmengelände vor der Stadt parken und den Shuttle-Bus nehmen musste. Hier waren ausreichend Parkplätze vorhanden, und auch der Bus ließ nicht lange auf sich warten.

In Bornem war bereits die Hölle los. Im gesamten Ort fand eine Riesenfete statt und allmählich füllte sich das Zelt, in dem das Meldebüro untergebracht war, mit Wanderern. Da ich mich eher kurzentschlossen für die Dodentocht interessiert hatte, musste ich mich in die Nachmelder-Schlange einreihen. Nach knapp 30 Minuten war ich jedoch bereits im Besitz der notwendigen Unterlagen. Neben einem Einweg-Zeitmesschip, den ich am Schuh festzurren musste, enthielt das Starterpaket das seit den 4daagsen von mir so geliebte Armbändchen – dieses Mal als Kennzeichen für die Futter- und Trinkberechtigung an den Verpflegungsstationen. Mit Hilfe des beigefügten Gutscheins konnte ich gleich vor dem Start das heißbegehrte Totenkopf-Shirt zum Kampfpreis von 5 EUR erwerben. Mit einer gewissen Weitsicht hatten die Veranstalter neben den Totenkopf das Wort „Teilnehmer“ und nicht etwa „Finisher“ gedruckt. Angesichts der hier üblichen Abbrecherquoten erweiterte sich somit der potentielle Käuferkreis um mehr als 50%.

Punkt 19 Uhr traf ich Heiko und Tom aus dem Runnersworld-Forum. Beide konnten mir schon ausgiebig von ihren Dodentocht-Erfahrungen berichten, sodass die Wartezeit bis zum Startschuss wie im Fluge verging. Meine beiden Mitstreiter nahmen sich vor, konstant 5,5 km/h zu gehen. Da meine unegalen Gräten ein Tempo von mindestens 6 km/h bevorzugen, damit sie nicht rumzicken, beschloss ich, mein 4daagse-Tempo wiederzufinden.

Da mir meine Nijmegen-Blase noch in guter Erinnerung war, hatte ich vor dem Start beschlossen, sowohl Einlagen als auch Schuhe auszutauschen, damit die jüngst geschundenen Stellen nicht erneut Probleme bereiteten. Wie sich herausstellte, war dies keine gute Entscheidung, da sich bereits auf den ersten 5 Kilometern die linke Achillessehne meldete. Üblicherweise hört sie auf zu zicken, wenn sie richtig warm ist – aber irgendwie wurde es immer schlimmer.

Nach 7,4 Kilometern sollte der erste Verpflegungsstand nebst Zeitmessung kommen. Tatsächlich waren es allerdings nur gut 6 Kilometer, womit dann auch geklärt wäre, aus welchem Grund in der Laufstatistik aller Teilnehmer auf dem ersten Stück irgendwelche Turbogeschwindigkeiten aufgelistet sind. Die Versorgung war gut. Ich stürzte drei Becher Wasser hinunter. Schließlich hatte ich ja noch einiges vor.

Dann wurde es Nacht in Belgien. Wir wanderten über Straßen und Feldwege. Die Strecke war angenehm flach. Ich hatte zwar eine Stirnlampe dabei, musste sie aber nicht auspacken, da die Hälfte der Wanderer dies bereits getan hatte und die Wege ausreichend hell beleuchtet waren. So richtig flüssig lief die Wanderung nicht, da die Wege nicht sehr breit waren und sich das Feld nicht so recht entzerren wollte. Hier und dort blockierten noch ein paar nordische Wanderer in stabiler Zweierkette und einer stockbedingten Ausdehnung eines mittleren Kleintransporters den Weg und sorgten dafür, dass der Pulk immer wieder ins Stocken geriet.

Nach 15 Kilometern erreichten wir erneut Bornem. Die Lichter, die Musik und die feiernden Leute weckten kurz die Lebensgeister. Bevor es zurück in die Dunkelheit ging, erspähte ich bei Kilometer 17 die lang ersehnte zweite Verpflegungsstation. Wir bekamen eine 0,33-Liter-Flasche Isodrink gereicht. Das tat so gut nach den 10 verpflegungsfreien Kilometern, dass ich mir gerne noch eine weitere Flasche gegriffen hätte. Zu meiner großen Verwunderung hieß es jedoch, die Flaschen seien abgezählt und jeder Wanderer bekäme nur eine. Was soll's - zu viel Trinken soll ohnehin schädlich sein, insbesondere auf 100-Kilometer-Märschen...

Ich nutzte die an der Verpflegungsstation gewonnene Zeit, um eine kleine Reibestelle zu verpflastern. Jetzt schon eine Blase zu bekommen, wäre schlecht gewesen. Es sollten ja schließlich noch 83 weitere Kilometer werden. Nach leichten Anlaufschwierigkeiten kam ich wieder in Tritt.

Auf den nächsten Kilometern legte ich jedoch den mentalen Grundstein für meinen baldigen Ausstieg. Irgendwie war plötzlich meine Motivation weg. Alles nervte mich: die falsche Schuhwahl, die Dunkelheit, die lähmende Müdigkeit nach einer etwas zu kurzen Nacht, einem Arbeitstag und einer recht stressigen Anreise und nicht zuletzt die spärliche Wasserversorgung. Sehnsüchtig schweiften meine Gedanken zurück zum Viertagesmarsch, wo man spätestens alle 500 Meter seine Wasserflasche an Gartenschläuchen füllen konnte und die Zuschauer den Wanderern quasi jeden Wunsch von den Lippen ablasen. Hier fand man nichts dergleichen. Ich schlurfte frustriert durch die Nacht und selbst die beleuchteten Ortschaften konnten mich nicht so recht wiederbeleben.

Nach 25 Kilometern beschloss ich, meinen Füßen etwas Gutes zu tun und von New Balance 1060 auf New Balance 753 zu wechseln – leider viel zu spät. Es lief zwar dezent besser, aber die Luft war irgendwie raus. Da half es auch wenig, dass es bei Kilometer 24 und bei Kilometer 32 wieder ausreichend Wasser und Verpflegung gab. Hier hätte ich eigentlich schon aussteigen müssen. Ein kleines Stückchen Restmotivation führte mich allerdings noch bis zur ersten Brauerei bei Kilometer 40. Entgegen anderslautenden Gerüchten schmeckte das Bierchen richtig gut und ich fand es schade, dass meine Reise in diesem Jahr just an der Stelle enden musste, wo die Atmosphäre zum ersten Mal richtig angenehm und inspirierend wirkte.

Der Ausstieg selbst funktionierte problemlos. Ich meldete mich an einer Servicetheke und 5 Minuten später saß ich bereits im Sammeltaxi nach Bornem. Obwohl bei der Dodentocht traditionell viele Wanderer vorzeitig aussteigen, fuhren um diese Zeit noch keine Transferbusse zu den Parkplätzen. So humpelte ich noch gut 3 Kilometer zum Auto und trat die Heimreise an.

Die Dodentocht hat mir in diesem Jahr definitiv keinen Spaß gemacht. Meine Teilnahme war aber trotzdem nicht ganz nutzlos. Nun weiß ich, dass ich beim nächsten Versuch einiges anders machen muss:

Ich sollte einen Tag früher anreisen, richtig ausschlafen und am Tag vor dem Marsch nach allen Regeln der Kunst rumgammeln. Schuhexperimente haben auf einem 100-Kilometer-Marsch nichts verloren. Um zu verhindern, dass ich alte Blasen reaktiviere, sollte ich lieber großzügig tapen. Statt der Ersatzschuhe kann ich dann lieber eine Literflasche Wasser für Durststrecken im Rucksack mitnehmen. Vor allen Dingen aber sollte ich mich im Vorfeld nicht der Illusion hingeben, in Bornem quasi die Miniausgabe der 4daagse erleben zu können. Solchen Erwartungen kann die Dodentocht nicht ansatzweise gerecht werden.

Einen positiven Effekt hatte mein Dodentocht-Abbruch auf jeden Fall: Nach langer Abstinenz habe ich heute mal wieder meinem Orthopäden „guten Tag“ gesagt und setze die viel zu lange gebläute Stoßwellentherapie fort. Auch eine schicke sensomotorische Einlage wird hoffentlich dazu beitragen, dass Langstreckenwandern künftig wieder zu einem ungetrübten Genuss wird. Vielleicht gibt es ja bereits im nächsten Jahr positiveres aus Bornem zu vermelden... ;-)

Stimmungsvolle Finisher-Berichte gibt es übrigens hier und hier.

Bis bald
Georg

Montag, 2. August 2010

Vier Tage im Juli

Ende Juni 2010

Training ist das, was man tut, wenn man sonst nichts Besseres vorhat. Zumindest verlief mein Walking-Jahr bislang nach dieser Devise. Ein paar Mal Eddi freitags von der Arbeit abgeholt, einmal Urlaub genommen und 50 Kilometer nach Düsseldorf gewandert, einmal 42 Kilometer beim Kulturrun absolviert – macht alles in Allem knapp 500 Kilometer und damit ziemlich genau ein Viertel des Vorjahrestrainings. Da trifft es sich gut, dass Eddi eine Woche nach Berlin zur Fortbildung muss und ich dort währenddessen ein wenig Aktivurlaub machen kann. Wenn schon die Aussicht auf den bald bevorstehenden Viertagesmarsch nicht meinen Trainingsfleiß wecken kann – der Mauerweg schafft es garantiert...

Gesagt getan: Während Eddi sich fleißig weiterbildet, überwinde ich die chronifizierte Bewegungsabstinenz und erwandere an 2 Tagen die Hälfte des Mauerwegs. So richtig flüssig läuft das nicht bei 35 Grad im (vorwiegend nicht vorhandenen) Schatten, aber es stimmt mich zuversichtlich für das niederländische Mammutprogramm. Wie schön man im Urlaub und beim Wandern abschalten und die Zeit vergessen kann, merke ich erst, als ich am Ende der zweiten Etappe den Reichstag erreiche und mich darüber wundere, wie viele Fernsehteams und Personenkraftwagen der Oberklasse sich hier so tummeln. Erst nachdem mir von kinogroßen Leinwänden die Namen Wulff und Gauss und das Wort Wahlgang entgegenschallen, dämmertmir, dass an diesem Tag offenbar keine reguläre Bundestagssitzung stattfindet.


18.07.2010

Kurz vor dem Viertagesmarsch nutzen wir (Eddi, Martin und ich) die letzte Gelegenheit, ein lockeres entspanntes Wandertraining in stimmungsvoller Atmosphäre zu absolvieren. Zusammen mit ca. 3 Millionen anderen Besuchern nutzen wir die Gunst der Stunde und schauen uns mal in aller Ruhe die Autobahn A40 an, die im Rahmen der Aktion Kulturhauptstadt für insgesamt 6 Stunden gesperrt ist. Im Vorfeld schauen wir uns im Internet die Leserbriefe der Bedenkenträger an, die „so eine Kommerzveranstaltung boykottieren“ wollen und keine Lust haben, „mit ihren Kindern über den Giftasphalt“ zu laufen. Zurück in die Realität: Es ist ein großartiges Erlebnis, 20 Kilometer auf solch einer ungewöhnlichen Wanderstrecke zurückzulegen. Die Stimmung ist hervorragend, die bei der Hitze unerlässliche Getränkeversorgung ist sehr gut organisiert und erfreut durch bezahlbare Preise. Allein auf der sogenannten Mobilitätsspur ist weniger Mobilität angesagt, als der Name vermuten lässt, da sich offenbar zu viele Besucher gleichzeitig für das Erkunden der Autobahn per Fahrrad entschieden haben.



19.07.2010

Wir sind in Nijmegen eingetrudelt. Auf dem Programm stehen heute Startunterlagen holen und früh schlafen gehen.

Anders als in den letzten Jahren gibt es für jeden Wanderer zur Registrierung keine Laufkarte, die man sich umhängen und abends ablegen kann, sondern ein dauerhaft während der vier Tage zu tragendes Armband. Abgesehen davon, dass ich meine Zweifel habe, ob das Teil auch nach vier Tagen und Nächten mit allen Wasser-, Schweiß- und Knickspuren noch lesbar sein wird, trägt es sich nicht gerade komfortabel.
Im Hotel erfahren wir per Zufall, dass die Marschleitung beschlossen hat, den ersten Tag bereits um 3 Uhr morgens zu starten, da es mittags sehr heiß werden soll und man offenbar die Erfahrungen aus dem Jahr 2006 nicht erneut machen möchte. Damit rückt dann auch Teil 2 des vorgenommenen Tagesprogramms noch mehr in den Fokus.




20.07.2010

Um ein Uhr aufzustehen klappt erstaunlich gut. Nach einem reichhaltigen Frühstück und einer kurzen Bahnfahrt bin ich pünktlich am Start. Martin und ich machen den fatalen Anfängerfehler, uns nicht direkt frontal zum Starttor, sondern in einem Seitenarm der großen Menschenschlange aufzustellen. Wir bezahlen dies mit einer Wartezeit von 25 Minuten; allerdings werden wir reichlich entlohnt, da wir so noch einen Spaßvogel kennenlernen dürfen, der quasi ohne Training auf gut Glück nach Nijmegen angereist ist. Gewandert ist er ach schon mal – so ca. 200 Kilometer. Mehr als 10 Kilometer am Stück hätte er aber noch nicht gemacht. Da sind 4 x 50 Kilometer sicherlich genau das Richtige für ihn. Wir begleiten ihn nicht lange, da wir nicht zugegen sein möchten, wenn er feststellt, dass die Mitnahme einer Trinkflasche oder eines Blasenpflasters nützlich gewesen wäre.

Die Entscheidung, früh zu starten, sorgt dafür, dass wir bei angenehmen Temperaturen die Hälfte der Strecke absolvieren können. Alles ist wie gehabt: Trotz nachtschlafender Stunde ist in den kleinen Ortschaften, die wir durchqueren, bereits die Hölle los. Voll aufgedrehte Musikanlagen geben uns den Wandertakt vor, die Leute entlang der Strecke jubeln uns zu und halten Wasserschläuche bereit, um unsere Trinkflaschen stetig neu zu füllen.

Kurz vor Elst wird es richtig warm. Zu diesem Zeitpunkt sind noch zwanzig Kilometer zu wandern. Irgendwo im Bereich von gut 6 km/h habe ich meine Wohlfühlgeschwindigkeit gefunden; allerdings wird nun jeder Kilometer anstrengender. Um uns Erfrischung zu spenden, werden wir von den Zuschauern mit Wasser bespritzt. Ich versuche, diese Art der Erfrischung zu meiden, da es sicherlich nicht nur Vorteile hat, mit nassen Klamotten zu wandern.

Pünktlich zur Mittagshitze erreiche ich den finalen Deich, auf dem man 5 Kilometer lang ohne Schatten wandern muss. Vor diesem schwierigsten Stück der ersten Etappe wartet Eddi und sorgt bis ins Ziel dafür, dass ich mich nicht zu doll auf die Hitze und die schwerer werdenden Beine konzentriere.

Zurück im Hotel suche ich ziemlich bald die Augenlider nach inneren Verletzungen ab. Das Ganze jetzt noch 3 mal – das kann ja heiter werden...


21.07.2010

Am zweiten Tag soll es nur knapp dreißig Grad werden. Dem Veranstalter erscheint dies kühl genug, um die Startzeiten nicht zu ändern. Martin und ich stellen uns dieses Mal frontal zum Starttor auf und sind bereits um 5 nach vier unterwegs. Nach wenigen Minuten treffen wir Tom aus dem Runnersworld-Forum. Er war am ersten Tag ein halbes Stündchen vor mir im Ziel und ist guter Dinge, dass die 4daagse einen angenehmen Verlauf nehmen. Martin erläutert ihm, welche attraktiven Wanderungen jenseits der 50 Kilometer es in der näheren Umgebung so gibt, während ich mich langsam warm wandere.

Ab Kilometer 10 geht es ein Stückchen querfeldein. Wenige Zuschauer säumen die Strecke. Dafür hat man Chance auf eine gratis Fußmassage durch den einen oder anderen kleinen Stein, der sich ins Schuhwerk verirrt. Steine rausschütteln heißt Pause; Pause unterbricht den Wanderfluss; also lässt man die Steinchen so lange durchs Schuhwerk wandern, bis sie an einer Stelle sind, wo sie nicht übermäßig stören.

Eigentlich soll es im Laufe des Tages ein Unwetter geben. Also bin ich bemüht, den öden langen Deich zwischen Kilometer 20 und 30 schnell hinter mich zu bringen. Wie jedes Jahr treffe ich die Flensburgerin, die in der Kneipe auf dem Deich Pause macht. Ihr Mann und sein Kumpel dehnen die Pause noch etwas; sie wandert mit mir weiter. Ihr Motto: „Was ich hab, das hab ich...“ In diesem Jahr müssen wir uns schnell voneinander verabschieden. Knapper 8-Minuten-Schnitt ab Kilometer 25 war einmal – damals, als ich noch trainiert habe.

Das Unwetter bleibt aus. Stattdessen brennt die Sonne gnadenlos auf uns nieder. Ein kurzweiliges stimmungsvolles Luftholen gibt es in der Stadt Wijchen, die wir im Zickzack durchqueren und in der traditionell die Hölle los ist. Dann werden die Beine schwer, der Kopf heiß und die Sehnsucht nach dem Ende der Etappe riesengroß. Glücklicherweise gibt es hier ein Pröbchen Coke, dort ein Pröbchen alkoholfreies Weißbier und natürlich jede Menge Wassernachschub aus den Gartenschläuchen der Anwohner.

Einen Kilometer vor dem Ziel wartet Eddi in der Sonne bratend auf ihren lahmenden Wanderer. Wir erreichen das Ziel um zwanzig vor zwölf – 20 Minuten vor Öffnung der Zielhäuschen. Während wir warten, sehen wir, wie sich ein Teilnehmer das Pulsbändchen abreißt. Ich nehme mir vor, eine Entscheidung über Weitermachen oder Aufhören nicht direkt nach dem Zieleinlauf zu treffen.


22.07.2010

Heute wartet die kürzeste und zugleich schwerste Etappe auf uns: 48 Kilometer und sieben Hügel kurz vor Schluss. Ich fühle mich gut und bin voller Tatendrang. Allein der Sonderzug von Cuijk nach Nijmegen hat etwas dagegen, dass ich diese Energie ungefiltert auf die Strecke loslasse. So erreiche ich den Startbereich erst gegen viertel nach vier. Martin denkt nun wahrscheinlich, dass ich für Donnerstag und Freitag entspannte Urlaubstage eingeplant habe.

Um den späten Start zu kompensieren, vergesse ich für einen Moment, dass dies bereits der dritte Tag ist und beginne bereits ab dem ersten Kilometer mit Überholmanövern. Es läuft gut und bei angenehm mildem Wetter durchqueren wir einige kleine Ortschaften mit hübschen Einfamilienhäusern. Einige von ihnen sind „te koop“. Das wäre doch mal was für den Lebensabend: ein Häuschen auf der 4daagse-Strecke, vor dem man im Lehnstuhl im eigenen Garten sitzen und die schwitzende teils humpelnde Meute mit Nahrung und Getränken ein wenig glücklich machen kann.

Genug phantasiert, Georg. Heute ist Wandern angesagt – und das klappt außerordentlich gut. Es ist kurz vor halb neun und ich habe bereits die Hälfte der Strecke hinter mir. Zumindest ist das die Botschaft auf dem Schild, das auf das kleine verlorene Nest bei Kilometer 25 irgendwo im Niemandsland hinweist.

Danach kommen eigentlich die einsamsten und langweiligsten 10 Kilometer der 4daagse. Nicht so heute: Zunächst treffe ich einen Schweizer, der mir begeistert von seinen Erlebnissen in Biel erzählt. Dann begleitet mich ein gebürtiger Kölner mit indonesischen Eltern, der nun in Nijmegen 300 Meter vom Start entfernt wohnt. Er berichtet von seinen bisherigen 10 Teilnahmen. In diesem Jahr möchte er das letzte Mal dabei sein, da es für die 11. Teilnahme einen goldenen Orden mit Krönchen gibt und dann bis zur 40. Teilnahme nur noch Zahlen. Er hätte ja schließlich noch viele andere Hobbys. Überhaupt wird bei allen Gesprächspartnern nur die Frage gestellt, wie oft man teilgenommen hat. Dass die Zahl der Teilnahmen sich von der Zahl der erfolgreichen Teilnahmen unterscheiden kann (wie bei mir), scheint für die meisten unvorstellbar zu sein.

Obwohl ich recht untrainiert bin, inspirieren mich die Bergaufstrecken. Mein Begleiter merkt, dass ich schneller gehen möchte und wünscht mir viel Glück. Es ist ein unbeschreibliches Gefühl, die Hügel hinaufzugehen und von den dicht an dicht stehenden Campern entlang der Strecke lautstark angefeuert zu werden.

Nach dem letzten Berg wartet Eddi auf mich. Zusammen genießen wir die letzten Kilometer durch Nijmegen. Es bringt auch nichts, nun auf Tempo zu gehen, da es in gemächlichem Tempo eine Punktlandung zur Öffnung der Zielhäuschen wird.


23.07.2010

Tag 4!
Vor den 4daagse hätte ich jeden für verrückt erklärt, der mir prognostiziert hätte, dass ich an diesem Tag noch dabei bin. So richtig rund läuft es nicht, insbesondere beim Anlaufen nach der Zugfahrt. Auf dem Weg zum Start ermuntert mich ein Zuschauer angesichts meines Wanderstils mit den Worten „So möchtest du 50 Kilometer schaffen?“ Manchmal ist es nicht schön, Niederländisch zu verstehen... ;-)

Martin freut sich, dass ich wider Erwarten doch noch dabei bin. Wir gehen äußerst gemächlich los. Kurz nach dem Start treffen wir Tom, der sich an den ersten Tagen doch wohl etwas übernommen hat. Er möchte jetzt nur noch ankommen – Zeit ist egal. Zu dritt schlendern wir gemächlich durch Gelderland, bis ein Trüppchen britischer Soldatinnen mit 9-Minuten-Schnitt dafür sorgen, dass unsere Lebensgeister zurückkehren. Martin und ich beschleunigen und trällern ein paar blutrünstige Liedchen mit. Kurz vor Kilometer 10 bei Martins zweiten Päuschen mache ich mich aus dem Staub. „Was ich hab, das hab ich.“ kommt mir in den Sinn.

So richtig attraktiv ist die Strecke nicht. Wir durchqueren nur wenige kleine Orte, dann folgen wieder Strecken mit viel Landschaft.

Dieses Mal habe ich mich mit Eddi am Bahnhof in Cuijk verabredet. Bei meiner Ankunft stelle ich fest, dass dies kein sehr guter Treffpunkt ist. Die Schranke ist gerade zu, so dass sich viele Wanderer sammeln; Hundertschaften Zuschauer sind bereits am Bahnhof versammelt. Trotzdem findet Eddi mich im Gewühl. Wir bahnen uns den Weg durch Cuijk. Ich habe zwar noch nie die Tour de France live erlebt – Alpe d'Huez kann aber nicht stimmungsvoller sein als der Walk durch die engen Gassen von Cuijk. Zur Krönung überqueren wir die Maas über eine Ponton-Brücke, die das niederländische Militär zuvor gebaut hatte. Das ist gleichzeitig der Moment, in dem ich realisiere, dass ich mein Blasenpflaster vor dem Start nicht neben, sondern auf die Blutblase vom dritten Tag hätte kleben sollen.

Entlang der Maas nähern wir uns Nijmegen. Es wird belebter, es wird lauter, mehr Zuschauer säumen die Straße. Da ist das Stadtschild Nijmegen, da ist das Schild „Via Gladiola“. Kondition und Kraft sind auf Null. Das was mich nun antreibt, sind der pure Ehrgeiz und die einzigartige Atmosphäre entlang der Strecke. Wenn man hier angekommen ist, gibt man nicht mehr auf.



Es ist kurz nach zwölf. Stolz hole ich mir meine goldene 3 ab. Ich freue mich darauf, die Füße hoch zu legen, ein Bierchen zu trinken und in aller Ruhe im Lokalfernsehen bis 18 Uhr den Zieleinlauf der übrigen Teilnehmer zu verfolgen.


01.08.2010

Ich ertappe mich dabei, dass ich die Internetseite der Dodentocht aufgerufen habe. Die findet in zwei Wochen statt. Obwohl mir ein Bericht aus den Vorjahren viel Mut macht, traue ich mich wohl in diesem Jahr noch nicht, wobei: Trainiert habe ich ja jetzt ein wenig...


Bis bald
Georg