Donnerstag, 19. Juli 2007

In the Dutch mountains - 19.07.2007

Puenktlich um 2 Uhr klingelt der Wecker wie jeden Morgen. Ich setze meine Fuesse auf den Boden. Nein, das fuehlt sich nicht gut an. Gut zu wissen, dass ich zwei Achillessehnen habe. Jetzt kenne ich auch ihren exakten Verlauf. Der linke Vorfuss hat wieder seine kleine aber feine tiefliegende Blase wie beim dritten Tag des Mauerwegs - ein gutes Omen. Frisch geduscht, ein bisschen im Zimmer auf und ab gelaufen, ein Compeed links vorne drunter, ein Compeed rechts vorne drunter und die Weichei-Show ist vorerst beendet.

Fruehstueck schmeckt gut, Transfer klappt bestens. Mein Fahrer hat heute nacht sogar ein paar Minuetchen geschlafen. Ich komme auf dem Bahnhof Cuijk an und sehe, dass ein paar Wanderergrueppchen kleiner geworden sind. Waehrend ich fluessig auf dem Bahnsteig auf und ab gehe, bemerke ich, dass fast jeder Dritte ein bisschen humpelt. 100 Kilometer in 2 Tagen sind halt doch ein bisschen heftig.

In Nijmegen inspiziere ich den Bahnhof nach Schliessfaechern, um morgen schon mal waehrend des Walks mein Gepaeck zu deponieren. Dann geht's zum Startbereich, wo Martin schon wartet. Nach den schlechten Erfahrungen von gestern entscheiden wir uns fuer eine der abseits gelegenen Startzonen. Da hier nicht so viele Wanderer warten, sind wir bereits um 4:12 Uhr auf der Strecke.


Der erste Kilometer zieht sich wie Kaugummi. Trotz der frueheren Startzeit ist wieder die 11:30-Fraktion vor uns. Da habe ich nun heute ueberhaupt keine Lust drauf. Nach kurzer Absprache mit Martin wechsele ich auf den Buergersteig und dann geht die Post ab. Die ersten Kilometer sind identisch mit der gestrigen Strecke und aehnlich zuschauerfrei. Da macht es nichts aus, dass wir im 7:30er Schnitt an noch verwaisten Campingstuehlen am Wegesrand vorbeifliegen. Nach Kilometer 5 wird das zu ueberholende Feld merklich duenner. Wir koennen zumeist auf der Strasse gehen; nur wenn eine stabile Viererformation nebeneinander walkt, muss der Buergersteig fuer Ueberholmanoever herhalten. Nach knapp 10 Kilometern kommen wir durch ein paar romantische Fotosessions (Pferde im Sonnenaufgang bei Bodennebel) ein wenig aus dem Tritt.
Dies nutzen unsere beiden Sportgeherfreunde, um aufzuschliessen. Heute sind sie wieder im knappen 8er Schnitt unterwegs. Da wir immer weniger Walker vor uns haben, koennen wir schnellen Schritts 10 weitere Kilometer zusammen zuruecklegen.

Inzwischen ist es laendlich um uns herum geworden. Einige wenige Walker der Kategorie "Ich weiss was ich hier tue, denn ich tue es regelmaessig." marschieren noch auf unserer Hoehe, ein paar sind noch vor uns. Vom dicht gedraengten Feld ist aber weit und breit nichts mehr zu sehen - ebensowenig von den Zuschauern, die um diese Zeit noch nicht ernsthaft mit Wanderern rechnen.


Nachdem ich mit dem Spurten angefangen hatte, ist Martin nun angefixt und ich habe Muehe, ihn auszubremsen. Auch gutes Zureden wie "Schau Dir die ganzen Stuehle am Wegesrand an. Waere das nicht toll, wenn wir warten, bis da Leute sitzen?" koennen ihn nicht mehr bremsen. Im Grunde habe ich auch gar nichts dagegen, denn die Strecke, eine oede lange Seitenstrasse mitten im Nirgendwo, macht nicht wirklich Laune auf entspanntes Flanieren.


Nach 30 Kilometern merke ich, dass es keine gute Idee war, die Etappe mit einem Spurt zu beginnen. Bedingt durch die bereits sehr intensive Sonneneinstrahlung in Kombination mit relativ geringer Fluessigkeitsaufnahme wird mir ein bisschen schummerig. Ich erstehe eine suendhaft teure Huehnersuppe und ein Getraenk - wenig spaeter kehren die Lebensgeister zurueck.

Nachdem wir uns bereits seit einigen Kilometern darauf gefreut hatten, dass die 40er Strecke alsbald zu unserer stoesst, ist die Enttaeuschung aeusserst gross, als wir sehen, dass dort auch erst die ersten Cracks auf unserer Hoehe sind und die breite Masse noch ein wenig zurueckhaengt. Wir ziehen die Notbremse und legen eine ausgiebige Pause bei OLAT ein mit Kaffee fuer 60 ct., Rosinenbroetchen, Marzipangebaeck, noch einem Rosinenbroetchen und ein bisschen Suppe - morgens halb zehn in Holland.

Waehrenddessen wird er Pulk der vorbeiziehenden Walker immer dichter - Zeit zum Aufbruch. Wir wandern weiter ins naechste Dorf. Hier ist heute erstmals so richtig Stimmung. Martin tanzt vor den Zuschauern auf und ab, huepft auf den 135-Kilometer-Fuessen wie eine Feder und spielt im Rhythmus der Musik Luftgitarre.

Es geht weiter Richtung Groesbeek und den 7 Huegeln, die heute zur Ueberquerung anstehen. Jetzt sind auch die Zuschauer da. In den Orten, zwischen den Huegeln und auf den Huegeln steht Campingstuhl an Campingstuhl. So viele Suesswaren, wie gereicht werden, kann ein Mensch gar nicht zu sich nehmen. Da wir heute den inoffiziellen Tag der Unvernunft haben, beschliessen Martin und ich, jeden der 7 Huegel in Hoechstgeschwindigkeit hochzuwalken. Die frenetische Anfeuerung des Publikums inspiriert uns bei jeden Huegel auf's Neue.

Unsere Uebermotivation haelt ganze 5 Huegel lang an. Dann schliessen wir auf eine dunkelhaarige junge Dame mit Schweizer Faehnchen im Rucksack auf. Ich versuche, mit einfallsreichen Spruechen wie "Kommst Du aus der Schweiz?" ins Gespraech zu kommen. Dass keine Reaktion ihrerseits erfolgt, schreibe ich ganz spontan meinem unwiderstehlichen Charme zu. Ein letzter Versuch soll's richten: "Waar kom je vandaan?" Nach der Antwort "Uit Nijmegen" ist geklaert, woran der erste zarte Annaeherungsversuch gescheitert war.

Ohne dass ich mich mit Martin abgesprochen haette, ist nun Entspannungswalk angesagt. Wir kauderwelschen ein wenig mit Suzanne, die die Schweizer Fahne einer schweizer Militaertruppe abgeluchst hat. Ich schiesse das eine oder andere Foto und ernte ein breites Grinsen fuer meinen Titelvorschlag "het jonge meisje uit Nijmegen en de oude meneer uit Hamburg". Suzanne humpelt ein wenig und beisst merklich auf die Zaehne, haelt aber tapfer ihren 9er Schnitt. Um ein Deja vu zu verhindern, frage ich besser nicht, wie es ihr geht, da ich irgendwie fest mit der Antwort "War schon mal besser." rechne.


Zwei Kilometer vor Zieleinlauf begruesst Suzanne ihre Grosseltern an der Strecke. Sie sagt ihnen, dass sie gerne den Zieleinlauf noch mit den beiden "Gekken" (ndl. gek = verrueckt) machen wuerde. Die Grossmutter zaehlt Suzannes Finger durch, um hinterher feststellen zu koennen, ob wir noch alle dran gelassen haben. Kurz vor Schluss ueberholt uns ein hoch motivierter junger Mann mit schnellen Schritten. Wir ziehen ebenfalls einen kleinen Spurt an, koennen ihm jedoch nicht folgen. Kurz nach 12 Uhr erreichen wir das Ziel, verabschieden uns von Suzanne und lassen bei Swirl und Cappucino den noch jungen Tag ausklingen.


Fazit: Es war mal eine voellig neue Erfahrung, eine Teiletappe im Vorderfeld mit den Cracks zurueckzulegen. Die Zuschauerresonanz hat mir hierbei allerdings sehr gefehlt. Das bunte Treiben nach Kilometer 30, die Huegel und die lustigen entspannten Kilometer mit unserer Pacemakerin haben allerdings den Tag zu einem weiteren besonderen Erlebnis gemacht.

1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

wie schreibst du so schön:

"Tag der Unvernunft."

Auch wenn es schön war war es wohl nicht richtig "vernünftig" was wir da abgezogen haben. Na gut, wofür gibt es Kühlgels und ruhigstellen kann ich mein Bein ja auch auf dem Schreibtisch...

Schön war das Ganze ja doch...

Gruß Martin