Montag, 16. August 2010

Ganz schön tot - Dodentocht 2010



Der Viertagesmarsch war trotz geringster Trainingsumfänge gut gelaufen und hatte mich verleitet, nunmehr größenwahnsinnig zu werden und zur Dodentocht nach Bornem/Belgien zu fahren. So fuhr ich mit einer Mischung aus Nervosität und Vorfreude direkt nach der Arbeit westwärts, um möglichst vor dem großen Pulk vor Ort zu sein. Der Zeitpuffer entpuppte sich als bitter notwendig, da einige längere Baustellen und der eine oder andere Stau zu überwinden waren, ehe ich das Stadtschild meiner Begierde vor mir sah. Zwischenzeitlich waren alle Parkplätze in Bornem belegt oder gesperrt, sodass ich auf einem Firmengelände vor der Stadt parken und den Shuttle-Bus nehmen musste. Hier waren ausreichend Parkplätze vorhanden, und auch der Bus ließ nicht lange auf sich warten.

In Bornem war bereits die Hölle los. Im gesamten Ort fand eine Riesenfete statt und allmählich füllte sich das Zelt, in dem das Meldebüro untergebracht war, mit Wanderern. Da ich mich eher kurzentschlossen für die Dodentocht interessiert hatte, musste ich mich in die Nachmelder-Schlange einreihen. Nach knapp 30 Minuten war ich jedoch bereits im Besitz der notwendigen Unterlagen. Neben einem Einweg-Zeitmesschip, den ich am Schuh festzurren musste, enthielt das Starterpaket das seit den 4daagsen von mir so geliebte Armbändchen – dieses Mal als Kennzeichen für die Futter- und Trinkberechtigung an den Verpflegungsstationen. Mit Hilfe des beigefügten Gutscheins konnte ich gleich vor dem Start das heißbegehrte Totenkopf-Shirt zum Kampfpreis von 5 EUR erwerben. Mit einer gewissen Weitsicht hatten die Veranstalter neben den Totenkopf das Wort „Teilnehmer“ und nicht etwa „Finisher“ gedruckt. Angesichts der hier üblichen Abbrecherquoten erweiterte sich somit der potentielle Käuferkreis um mehr als 50%.

Punkt 19 Uhr traf ich Heiko und Tom aus dem Runnersworld-Forum. Beide konnten mir schon ausgiebig von ihren Dodentocht-Erfahrungen berichten, sodass die Wartezeit bis zum Startschuss wie im Fluge verging. Meine beiden Mitstreiter nahmen sich vor, konstant 5,5 km/h zu gehen. Da meine unegalen Gräten ein Tempo von mindestens 6 km/h bevorzugen, damit sie nicht rumzicken, beschloss ich, mein 4daagse-Tempo wiederzufinden.

Da mir meine Nijmegen-Blase noch in guter Erinnerung war, hatte ich vor dem Start beschlossen, sowohl Einlagen als auch Schuhe auszutauschen, damit die jüngst geschundenen Stellen nicht erneut Probleme bereiteten. Wie sich herausstellte, war dies keine gute Entscheidung, da sich bereits auf den ersten 5 Kilometern die linke Achillessehne meldete. Üblicherweise hört sie auf zu zicken, wenn sie richtig warm ist – aber irgendwie wurde es immer schlimmer.

Nach 7,4 Kilometern sollte der erste Verpflegungsstand nebst Zeitmessung kommen. Tatsächlich waren es allerdings nur gut 6 Kilometer, womit dann auch geklärt wäre, aus welchem Grund in der Laufstatistik aller Teilnehmer auf dem ersten Stück irgendwelche Turbogeschwindigkeiten aufgelistet sind. Die Versorgung war gut. Ich stürzte drei Becher Wasser hinunter. Schließlich hatte ich ja noch einiges vor.

Dann wurde es Nacht in Belgien. Wir wanderten über Straßen und Feldwege. Die Strecke war angenehm flach. Ich hatte zwar eine Stirnlampe dabei, musste sie aber nicht auspacken, da die Hälfte der Wanderer dies bereits getan hatte und die Wege ausreichend hell beleuchtet waren. So richtig flüssig lief die Wanderung nicht, da die Wege nicht sehr breit waren und sich das Feld nicht so recht entzerren wollte. Hier und dort blockierten noch ein paar nordische Wanderer in stabiler Zweierkette und einer stockbedingten Ausdehnung eines mittleren Kleintransporters den Weg und sorgten dafür, dass der Pulk immer wieder ins Stocken geriet.

Nach 15 Kilometern erreichten wir erneut Bornem. Die Lichter, die Musik und die feiernden Leute weckten kurz die Lebensgeister. Bevor es zurück in die Dunkelheit ging, erspähte ich bei Kilometer 17 die lang ersehnte zweite Verpflegungsstation. Wir bekamen eine 0,33-Liter-Flasche Isodrink gereicht. Das tat so gut nach den 10 verpflegungsfreien Kilometern, dass ich mir gerne noch eine weitere Flasche gegriffen hätte. Zu meiner großen Verwunderung hieß es jedoch, die Flaschen seien abgezählt und jeder Wanderer bekäme nur eine. Was soll's - zu viel Trinken soll ohnehin schädlich sein, insbesondere auf 100-Kilometer-Märschen...

Ich nutzte die an der Verpflegungsstation gewonnene Zeit, um eine kleine Reibestelle zu verpflastern. Jetzt schon eine Blase zu bekommen, wäre schlecht gewesen. Es sollten ja schließlich noch 83 weitere Kilometer werden. Nach leichten Anlaufschwierigkeiten kam ich wieder in Tritt.

Auf den nächsten Kilometern legte ich jedoch den mentalen Grundstein für meinen baldigen Ausstieg. Irgendwie war plötzlich meine Motivation weg. Alles nervte mich: die falsche Schuhwahl, die Dunkelheit, die lähmende Müdigkeit nach einer etwas zu kurzen Nacht, einem Arbeitstag und einer recht stressigen Anreise und nicht zuletzt die spärliche Wasserversorgung. Sehnsüchtig schweiften meine Gedanken zurück zum Viertagesmarsch, wo man spätestens alle 500 Meter seine Wasserflasche an Gartenschläuchen füllen konnte und die Zuschauer den Wanderern quasi jeden Wunsch von den Lippen ablasen. Hier fand man nichts dergleichen. Ich schlurfte frustriert durch die Nacht und selbst die beleuchteten Ortschaften konnten mich nicht so recht wiederbeleben.

Nach 25 Kilometern beschloss ich, meinen Füßen etwas Gutes zu tun und von New Balance 1060 auf New Balance 753 zu wechseln – leider viel zu spät. Es lief zwar dezent besser, aber die Luft war irgendwie raus. Da half es auch wenig, dass es bei Kilometer 24 und bei Kilometer 32 wieder ausreichend Wasser und Verpflegung gab. Hier hätte ich eigentlich schon aussteigen müssen. Ein kleines Stückchen Restmotivation führte mich allerdings noch bis zur ersten Brauerei bei Kilometer 40. Entgegen anderslautenden Gerüchten schmeckte das Bierchen richtig gut und ich fand es schade, dass meine Reise in diesem Jahr just an der Stelle enden musste, wo die Atmosphäre zum ersten Mal richtig angenehm und inspirierend wirkte.

Der Ausstieg selbst funktionierte problemlos. Ich meldete mich an einer Servicetheke und 5 Minuten später saß ich bereits im Sammeltaxi nach Bornem. Obwohl bei der Dodentocht traditionell viele Wanderer vorzeitig aussteigen, fuhren um diese Zeit noch keine Transferbusse zu den Parkplätzen. So humpelte ich noch gut 3 Kilometer zum Auto und trat die Heimreise an.

Die Dodentocht hat mir in diesem Jahr definitiv keinen Spaß gemacht. Meine Teilnahme war aber trotzdem nicht ganz nutzlos. Nun weiß ich, dass ich beim nächsten Versuch einiges anders machen muss:

Ich sollte einen Tag früher anreisen, richtig ausschlafen und am Tag vor dem Marsch nach allen Regeln der Kunst rumgammeln. Schuhexperimente haben auf einem 100-Kilometer-Marsch nichts verloren. Um zu verhindern, dass ich alte Blasen reaktiviere, sollte ich lieber großzügig tapen. Statt der Ersatzschuhe kann ich dann lieber eine Literflasche Wasser für Durststrecken im Rucksack mitnehmen. Vor allen Dingen aber sollte ich mich im Vorfeld nicht der Illusion hingeben, in Bornem quasi die Miniausgabe der 4daagse erleben zu können. Solchen Erwartungen kann die Dodentocht nicht ansatzweise gerecht werden.

Einen positiven Effekt hatte mein Dodentocht-Abbruch auf jeden Fall: Nach langer Abstinenz habe ich heute mal wieder meinem Orthopäden „guten Tag“ gesagt und setze die viel zu lange gebläute Stoßwellentherapie fort. Auch eine schicke sensomotorische Einlage wird hoffentlich dazu beitragen, dass Langstreckenwandern künftig wieder zu einem ungetrübten Genuss wird. Vielleicht gibt es ja bereits im nächsten Jahr positiveres aus Bornem zu vermelden... ;-)

Stimmungsvolle Finisher-Berichte gibt es übrigens hier und hier.

Bis bald
Georg

1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

Ich war dieses Jahr das 5. Mal erfolgreich bei der Dodentocht und muss sagen, dass die Versorgung/Verpflegung jedes Jahr besser zu werden scheint. Es ist eben (Gott sei Dank) noch kein so kommerzielles Party-Event wie die 4 Daagse, eher andächtig und etwas härter. Schade, dass es bei Dir nicht geklappt hat. Versuche es aber auf jeden Fall wieder!!!
PS: die Stock-Schwinger sind mir auch ganz schön auf den S... gegangen.

Gruß

Michael